Deutscher Immobilienmarkt:

Detaillierte Analyse der einzelnen Asset-Klassen

In einem Mitte vergangenen Jahres bei IN.PUNCTO-online veröffentlichten Interview antwortete Stefan Gunkel MRICS, Geschäftsführer der Angermann Valuation Advisory GmbH, auf die Frage, wie er die Lage in der Immobilienwirtschaft beurteilt, wie folgt: „Bezogen auf Immobilieninvestitionen ist davon auszugehen, dass die Bundesrepublik langfristig als sehr gefragter und besonders sicherer Standort gelten wird und das, wenn auch teilweise mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung, für sämtliche Asset-Klassen. Das Zinsniveau wird investitionsanreizbedingt langfristig auf einem sehr niedrigen Stand verbleiben, so dass weiterhin vorteilhafte Finanzierungsbedingungen bereitstehen werden“. Im erneuten IN.PUNCTO-Gespräch erklärt er, ob er dies heute immer noch so sieht und gibt erneut eine detaillierte Analyse zu den einzelnen Asset-Klassen. 
 

Stefan Gunkel MRICS
Geschäftsführer der Angermann Valuation and Advisory GmbH - Chartered Surveyors
+49 (0)40 34914-137

Hat sich die Lage in der Immobilienwirtschaft für Sie in den vergangenen Monaten signifikant verändert?

Eigentlich nicht. Und das allen Unwägbarkeiten und massiven Herausforderungen der vergangenen 12 Monaten zum Trotz. Die Stabilität und Robustheit des nationalen Immobilienmarkts sind offensichtlich inhärent. Daran scheint im Moment niemand etwas ändern zu können, was wahrscheinlich auch darauf zurückzuführen ist, dass Deutschland trotz allem immer noch zu den besseren Anlageorten zählt. Ich gehe davon aus, dass das auch langfristig so bleibt und die Plan- und Nachhaltigkeitsbasis gewährleistet ist.

Welche Ihrer damaligen Prognosen sind eingetroffen und welche nicht?

Aus meiner Sicht hat sich die Mehrzahl der Vorhersagen bestätigt. Wenige Asset-Klassen haben sich dagegen etwas anders als prognostiziert entwickelt, wobei die Abweichungen eher positiver Natur waren. Dies ist insbesondere auf die sehr hohe und weiter zunehmende Liquidität im nationalen und internationalen Investmentmarkt zurückzuführen, wodurch Immobilien mehr denn je im Anlagefokus liegen. Auch hat sich das Zinsniveau in den vergangenen Wochen erneut in Richtung eines historischen Tiefststands bewegt, so dass die Finanzierungsbedingungen nachhaltig ideal bleiben dürften. Somit kann sich auch weiterhin des Leverage-Effekts bedient werden, was überdurchschnittlich hohe Eigenkapitalrenditen garantiert.

Hat sich der Wertermittlung von Immobilien im Zuge der Corona-Krise in irgendeiner Form nachhaltig verändert?


Zunächst einmal hat die Pandemie in den vergangenen 1 ½ Jahren selbstverständlich nichts an den Bewertungsrichtlinien sowie -verfahren verändert. Angepasst ist sicherlich der Umgang mit den erforderlichen Objektbesichtigungen sowie die Durchführung des Bewertungsprozesses, der zunehmend digital geprägt ist. Aber auch hier hat man wieder einmal eindrucksvoll erlebt, dass das Individuum unersetzlich ist, was in erster Linie - aber nicht nur - auf die Inaugenscheinnahme des Bewertungsgegenstandes zutrifft. Der Gutachter muss vor Ort sein, um ein angemessenes Bild zeichnen zu können und um Haftungsrisiken zu reduzieren. 
Es existieren ja seit geschätzt zwei Dekaden die Alternativen der „Desktop“- sowie der „Drive-By“ Bewertung, die insbesondere durch die internationalen Gutachter Einzug gehalten haben. Unabhängig von den Anforderungen der einschlägigen Auftraggeber sowie den Haftungsrisiken habe ich dazu eine klare Meinung. Regelmäßig kommt es vor, dass man ein Objekt, das beispielsweise in der benachbarten Großstadt gelegen und an dem man gefühlt 100-mal vorbeigelaufen ist, sehr gut zu kennen glaubt. Dann hat man den Auftrag, dieses zu bewerten, steht davor und merkt, dass man es eigentlich komplett falsch eingeschätzt hat. Aus diesem Grund halte ich persönlich von „Desktop-Bewertungen“ sehr wenig. Mit „Drive-By-Begutachtungen“ kann ich dagegen sehr gut leben, da man auf diese Weise sowohl den Standort als auch den äußerlichen Objektzustand sehr gut einschätzen kann. Dies kombiniert mit einer fundierten Innen-, Instandsetzungs- und Modernisierungsdokumentation führt zu einer sehr guten und belastbaren Variante, die den aktuellen Rahmenbedingungen gerecht wird. 
Wirklich spannend aber ist die Einführung der neuen ImmoWertV 2021, die im Jahr 2022 für zahlreiche Gutachter bindend zur Anwendung kommen soll. Die neue Wertermittlungsrichtlinie schafft teilweise komplett neue und sehr fragwürdige Welten. Sie wurde im Expressverfahren, ohne wirkliche Einbindung relevanter Verbände, durch das zuständige Ministerium verabschiedet. Auch wenn es bereits zahlreiche Vermutungen zur Zielsetzung des neuen Regelwerks gibt, so bleibt abzuwarten, worin der tatsächliche Antrieb der zuständigen Behörden liegt. Ich denke, dass man hier in 12 Monaten klarer sehen wird.  

Bleibt Deutschland für Sie auf absehbare Zeit der sichere und stark nachgefragte Anlagehafen?

Auf jeden Fall. Die meisten - wenn auch nicht alle - Rahmenbedingungen und Voraussetzungen sind sehr gut und das dürfte sich kurzfristig zum noch Besseren wenden. Inzwischen bearbeitet eine Rekordzahl an nationalen und internationalen Investoren sowohl aus dem institutionellen als auch privaten Sektor den deutschen Immobilieninvestmentmarkt. Hier kommt es gerade bei begehrten Produkten regelmäßig zu regelrechten Bieterschlachten. Darüber hinaus hat sich der Anlagefokus gerade in den vergangenen 18 Monaten stark diversifiziert, so dass Kaufinteresse an nahezu allen Asset-Klassen besteht. 
Das historisch niedrige durchschnittliche Renditeniveau spricht eine klare Sprache. Pandemiebegehrte Formate wie Logistik- sowie Gesundheits- und Pflege-, teilweise aber auch Büroimmobilien, haben punktuell Renditetiefststände erreicht. Ein weiterer Investmentakzelerator dürfte das Schreckensgespenst Inflation sein. Die mittelfristig erwarteten 2 - 4% p.a. werden dazu beitragen, zukünftig mehr denn je sichere Anlagen zu erwerben, um zumindest noch leicht positive Effektivrenditen erwirtschaften zu können. Das Sparbuch oder Kopfkissen dürfte das immer weniger hergeben, was mit einem langfristigen substanziellen Nettovermögensverlust verbunden sein wird. 

Analyse der Asset-Klassen

Als neue Information, im Vergleich zu den vorhergehenden Auswertungen, wurden deren aktuellen, in Eigenrecherche ermittelten, durchschnittlichen Nettoanfangs-Spitzenrenditen ergänzt. Die Bezeichnung ist deshalb so gewählt und relevant, da es auch im Bereich der Spitzenpreise regelmäßig Abweichungen gibt, was beispielsweise auf nicht repräsentative Erwerbe aufgrund von Spezialinteressen zutrifft. In diesem Bereich werden regelmäßig deutlich höhere Kaufpreise erzielt. Auch Abweichungen vom Spitzendurchschnitt nach unten sind nicht selten, was häufig auf Objektbesonderheiten zurückzuführen ist.

Nettoanfangsrenditen repräsentieren das Verhältnis zwischen Vertragsmiete abzüglich periodischer Kosten und dem Bruttokapitalwert, der sich aus der Summe von Kaufpreis und den Nebenerwerbskosten ergibt. Regelmäßig wird die Miete im gesamten ersten Erwerbsjahr berücksichtigt, wobei es hier keine klare Regel gibt. Z.T. bieten sich auch tage- oder monatsweise Betrachtungen an. Das kann z.B. dann zielführend sein, wenn ein Ankermieter die Liegenschaft im ersten Jahr bezieht oder verlässt. Dagegen werden aperiodische Kosten, wie beispielsweise Modernisierungsmaßnahmen oder Betriebskostenausfälle, in der Kalkulation nicht berücksichtigt. Im Rahmen der Ermittlung der Nettoanfangsrendite lässt sich auch der Kaufpreisvervielfältiger auf die Vertragsmiete ausweisen, der als wichtiger Marktparameter gilt. Er ist deshalb sehr beliebt und gängig, da er eine anerkannte Vergleichsgrundlage bietet, ohne die einzelnen Objektspezifika exakt kennen zu müssen. Als Ergebnis können die aktuellen durchschnittlichen Kaufpreis-Spitzenfaktoren zukünftig der nachstehenden Analyse beigefügt werden.

Büro

  • Stabile Miet- und Kaufnachfrage auf hohem Niveau.
  • Reduktion des tatsächlichen Bedarfs als Folge angepasster Arbeitsmodelle.
  • Aufgrund von Hygienevorschriften wird m²-Bedarf pro Arbeitsplatz steigen.
  • Ebenfalls wird m²-Bedarf pro Arbeitsplatz aufgrund notwendiger wettbewerbsfähiger Raumlösungen und -konzepte, die die Attraktivität des Arbeitsplatzes verbessern sollen, steigen - hierzu zählen z.B. Cafeterias, Communication- oder Recreation Rooms sowie Fitnessbereiche, die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden.   
  • Insgesamt kann ein kompensatorischer Effekt erwartet werden.
  • Weiterhin als sicheres und gefragtes Investmentprodukt einzuschätzen.

Logistik

  • Diejenige Asset-Klasse, die nach wie vor den höchsten Zuwachs an Miet- und Kaufnachfrage verzeichnet.
  • Internetnachfrage innerhalb sämtlicher Food- und Non-Food Bereiche wird nachhaltig ansteigen.
  • Als Folge wird Bedarf an Logistikflächen weiterhin nachhaltig steigen.
  • Zunehmende Nachwuchsprobleme insbesondere innerhalb des Schwergüterverkehrs sowie der Lager- und Kommissionierungstätigkeit, was mit einem sprunghaften Digitalisierungs- und Automatisationsschub verbunden sein dürfte.
  • Logistikimmobilien sind weiterhin als sicheres und zunehmend gefragtes Investmentprodukt einzuschätzen, wobei die relativ kurze wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer nicht zu vernachlässigen ist.

Lager

  • Mietnachfrage bleibt aufgrund teilweiser Lieferkettenstörungen hinter derer von Logistikflächen zurück. 
  • Dennoch wird aufgrund von erhöhtem Onlineerwerb Bedarf an Lagerflächen weiterhin sehr stabil bleiben.
  • Auch in diesem Segment ist aufgrund der vorgenannten Nachwuchsproblematik von einem sprunghaften Digitalisierungs- und Automatisationsschub auszugehen.
  • Lagerimmobilien weisen aufgrund von Aufwertungsalternativen häufig umfassende Entwicklungsphantasien und -perspektiven auf.
  • Lagerimmobilien sind weiterhin als recht sicheres und gefragtes Investmentprodukt einzuschätzen.
     

Produktion / Industrie

  • Fortschreitender Digitalisierungs- und Automatisationsprozess dürfte in bestimmten Industriezweigen mit spürbaren Bedarfs- und Nachfragerückgängen verbunden sein.
  • Transformation bestimmter Wirtschaftszweige geht mit uneinheitlicher Entwicklung hinsichtlich der zukünftigen immobilienwirtschaftlichen Anforderungen einher.
  • Häufig stehen Entwicklungsalternativen im Fous von Ankaufsüberlegungen.
  • Nicht zuletzt aus diesem Grund werden Bestandsimmobilien z.T. erstaunlich hochpreisig erworben, um umfassende Neuentwicklungen mit alternativen Nutzungen anzustreben.
  • Investmentnachfrage für nachhaltige Bestandsprodukte dürfte sich in absehbarer Zeit erholen sowie für bessere alternative Nutzungskonzepte tendenziell erhöhen.
     

Hotels

  • Abwärtstrend bezogen auf Miet- und Kaufnachfrage scheint gestoppt.
  • Inzwischen tauchen insbesondere institutionelle Fonds wieder als potenzielle Erwerber auf, was auch auf sehr hohe Liquidität im Investmentmarkt zurückzuführen ist.
  • Interesse besteht an pandemiegeeigneten Produkten in attraktiven Lagen.
  • Eine nachhaltige starke Spreizung der Investmentschere ist wahrscheinlich.
  • Ausgewählte Hotelimmobilien dürften somit zukünftig wieder als recht sicheres und gefragtes Investmentprodukt einzuschätzen sein.
     

Einzelhandel Fachmärkte

  • Stabile Miet- und Kaufnachfrage auf hohem Niveau.
  • Vergleichbar dem Format der Nahversorger, wobei Fachmärkten die Funktion der „Volksversorger“ abgeht, was die Gefahr von pandemiebedingten Schließungen erhöht. 
  • Auch in diesem Segment ist zukünftig von einem harten Baulandwettbewerb auszugehen.
  • Mehr denn je werden neue raumplanerische Konzepte an Relevanz gewinnen.
  • Weiterhin als sicheres Investmentprodukt einzuschätzen, wovon sowohl Immobilienportfolios als auch Einzelimmobilien betroffen sein dürften.

Einzelhandel Shopping-Center

  • Abwärtstrend bezogen auf Miet- und Kaufnachfrage scheint zunächst gebremst.
  • Asset-Klasse steht unter Beobachtung, insbesondere von institutionellen Investoren, was auch auf sehr hohe Liquidität im Investmentmarkt zurückzuführen ist.
  • Interesse besteht an flexiblen Formaten, die pandemiebedingt nachfragespezifisch reagieren können.
  • Dennoch dürfte das Format auch dauerhaft krisenanfällig bleiben.
  • Ziel könnte sein, die wichtigsten Wohlfühlfaktoren, die sich aus der Präsenz zu Hause und in der Innenstadt (vgl. unten) ableiten lassen, in visionären Konzepten zu vereinen. 
  • Investmentnachfrage dürfte weiterhin auf recht verhaltenem Niveau verharren und auch zukünftig wird man Zugeständnissen durch die Verkäuferseite erwarten.

Einzelhandel Nahversorger

  • Diejenige Asset-Klasse, die nach Logistik den zweithöchsten Anstieg an Miet- und Kaufnachfrage verzeichnet.
  • Stabile Miet- und Kaufnachfrage auf sehr hohem Niveau.
  • Die Zahl an potentiellen Investoren aus dem institutionellen und privaten Sektor verzeichnet ein Rekordniveau.
  • Zukünftig ist von einem harten Baulandwettbewerb auszugehen und es sind kreative Entwicklungskonzepte, insbesondere von den Kommunen, nötig.
  • Format dürfte sich in Richtung „aktiver Volksversorger“ weiterentwickeln.
  • Weiterhin als sehr sicheres und gefragtes Investmentprodukt einzuschätzen, wovon sowohl Immobilienportfolios als auch Einzelobjekte betroffen sein dürften.
     

Einzelhandel Highstreet

  • Stabile Miet- und Kaufnachfrage auf hohem Niveau.
  • Immobilien in Top-City Lagen scheinen für die Sehnsucht nach einem Pandemieende zu stehen, was sich durch die enorm hohen Besucherfrequenzen nachweisen lässt.
  • Der Mensch switcht zwischen „Wohnfühloase“ zu Hause und „Entertainment“ Innenstadt.
  • Format hat sich in der Krise erstaunlich gut bewährt.
  • Weiterhin als sicheres und gefragtes Investmentprodukt einzuschätzen.

Wohnen

  • Stabile Miet- und Kaufnachfrage auf sehr hohem Niveau.
  • Trend zur Errichtung und zum Erwerb von großzügigem Wohneigentum in den Speckgürteln von Großstädten ab 100.000 Einwohnern hat sich verstärkt.
  • Die Auftragsbücher der Bauunternehmen scheinen in bestimmten Regionen über Jahre gefüllt und die Bau- und Kaufpreise ziehen weiter an.
  • Teilweise lassen sich die hohen Kaufpreise nur mittels negativer Liegenschaftszinssätze durch die zuständigen Gutachterausschüsse abbilden.
  • Politisch motivierte Eingriffe in die Marktpreismechanismen dürften dagegen zunehmen, u.a. auch, um den sozialen Frieden nicht weiter zu gefährden.
  • Weiterhin als sehr sicheres und gefragtes Investmentprodukt einzuschätzen.
     

Gesundheit / Pflege

  • Diejenige Asset-Klasse, die nach Logistik und EZH Nahversorger den dritthöchsten Anstieg an Miet- und Kaufnachfrage verzeichnet.
  • Es werden zahlreiche neue potentielle Investoren aus dem institutionellen und privaten Bereich registriert und die Erwerbsvolumina befinden sich auf Rekordniveau.
  • Es ist vorstellbar, dass sich neue Formate, wie beispielsweise integrierte Test-, Impf-, Behandlungs- und Intensivzentren, entwickeln werden.
  • Zukünftig sind weiterhin durch Krisen hervorgerufene staatliche Zuwendungen zu erwarten.
  • Gesundheits- und Pflegeimmobilien sind als sehr sicheres und sehr gefragtes Investmentprodukt einzustufen.

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