“Fast Follower statt First Mover”:

Digitalisierung in der Immobilienbranche

Die digitale Transformation zählt ohne Frage zu den bestimmenden Themen, mit denen sich deutsche Unternehmen aktuell beschäftigen. IN.PUNCTO sprach mit Ali Rasul, bis September 2022 Head of Innovation & Digitization bei der Taurecon Real Estate Consulting GmbH, über den Stand der Digitalisierung in Deutschland im Allgemeinen und die Entwicklungen in der Immobilienwirtschaft im Speziellen. 
 

Ali Rasul
Experte für Digitalisierung in der Immobilienbranche

Wie beurteilen Sie den Stand der Digitalisierung in Deutschland? Wie stehen wir im internationalen Wettbewerb da? 
Deutschland steht aus meiner Sicht bei der Digitalisierung im internationalen Vergleich sehr weit hinten. Hierbei spielen viele Faktoren eine Rolle, wie z.B. Denkmuster, Infrastruktur, Politik und auch die Wirtschaft. Der Glasfaserausbau lag 2021 bei ca. 7%, womit wir im OECD Länder Vergleich den 35. von 39 Plätzen belegen. Der Umsatz im Bereich E-Commerce in Deutschland betrug 2021 ca. 86 Mrd. €. Amazon allein hat 2021 ca. 470Mrd $ Umsatz erzielt. Wir sind in Deutschland sehr gut darin unseren Fokus einem Thema zu widmen und dies vollumfänglich zu behandeln. Stattdessen sollten wir zukunftsorientierten und Innovativen Themen die gleiche Gewichtung geben wie aktuellen Mega-Trends, wie z.B. der Corona-Pandemie oder der Klimakrise. Durch eine bessere Gleichverteilung könnte man meines Erachtens nach Synergien nutzen um diverse Themen, u.a. die Digitalisierung nicht nur voranzutreiben, sondern diese z.B. auch in Form einer intelligenten und zusammengeführten Datensammlung zu nutzen, um bessere Entscheidungen zu treffen.

Wie schreitet die Umsetzung von Digitalisierungsprozessen in der Immobilienbranche voran?
Die Wichtigkeit wird von vielen Unternehmen gesehen, allerdings agiert der Großteil als Fast Follower und nicht als First Mover, wodurch Trends verpasst werden.

Vor welchen digitalen Problemen stehen Nutzer heute?
Wir stehen in Deutschland noch vor sehr grundlegenden Problemen, wie z.B. starren, manuellen Prozessen, oder dem Fehlen von Standards und Datenkonsolidierungen in vielen Bereichen. Häufig fehlt diese sogar innerhalb einer Abteilung. Der starke Drang nach Datenschutz in Deutschland, welcher teilweise berechtigt ist, steht im Kontrast zu technologischen Innovationen.
 

Welche Hemmnisse auf dem Weg zur Digitalisierung gibt es und wie lassen sie sich überwinden?
Faktoren wie die Zurückhaltung der Politik den digitalen Wandel in Form eines autarken Digitalministeriums zu begleiten oder erschwerte Prozesse in dem Umgang mit Behörden spielen zwar eine Rolle, entscheidender ist für mich allerdings, dass es hierzulande eine gewisse Vorsicht-Haltung gibt. Es wird erstmal geschaut, wie die Ergebnisse der Pilotarbeiten in anderen Ländern sind, um anschließend auf einen Trend aufzuspringen, der zu dem Zeitpunkt keiner mehr ist. Beispiele hierfür sind die Cloud Infrastruktur und (Mikro)Mobilität. 


Gibt es fundamentale Unterschiede, Arbeitsprozesse im Bereich der Digitalisierung zu beschleunigen bzw. effizienter zu gestalten zwischen Konzernen und mittelständischen Unternehmen? 
Ein Konzern verändert sich in der Regel langsamer, da fest eingefahrene (Genehmigungs-) Prozesse nicht so einfach zu bewegen sind, wohingegen Klein-/Mittelständler und Startups Prozesse relativ einfach optimieren bzw. neue Prozesse einführen können. Für Großunternehmen bietet sich allerdings die Möglichkeit mit No-code/Low code Lösungen bestehende Prozesse zu automatisieren und neue automatisierte Prozesse einzuführen, ohne die Hürde nehmen zu müssen, eine neue Software im Unternehmen einzuführen. 

Was passiert mit nicht mehr zeitgemäßen Immobilien?
In Ballungsgebieten wird viel mehr Wohnraum benötigt, auch wenn es derzeit eine Tendenz für die Suburbanisierung gibt. Voraussetzung für eine relevante Stadtflucht ist aber die dauerhafte Umsetzung von Homeoffice in hierfür möglichen Berufsfeldern, welche zur Umsetzung von mehr Co-Living-/Co-Working-Konzepten führen kann.

In der Zukunft werden viele gewerbliche Immobilien umfunktioniert werden, wie z.B. die klassischen Malls (EKZ). Dieser Trend hat schon vor Corona begonnen, da der Onlinehandel ein Umdenken für den stationären Einzelhandel erzwungen hat. Bereits 2016 wurde Amerikas älteste Shopping Mall (The Arcade Providence) vom klassischen Einkaufszentrum umfunktioniert und enthält inzwischen ca. 50 Mikroapartments. Auch in Berlin findet dieses Konzept, das von amerikanischen Investoren angetrieben wird, inzwischen Anklang. Es existieren Projekte, in welchen neben dem Einzelhandel auch Büroflächen und Serviced Apartments entstehen. Auch leerstehende Hallen in denen früher produziert worden ist, werden zukünftig vermehrt umfunktioniert werden, um eine zeitgemäße Nutzung zu gewährleisten.

In der Immobilienwirtschaft ist der starke Zuwachs von neuen „PropTech-Unternehmen“ zu erkennen. Wie stehen Sie zu der Entwicklung und welche Möglichkeiten ergeben sich dadurch? 
Die Zusammenarbeit (Co-Innovation / Co-Creation) mit traditionellen Playern aus der Branche ist aus meiner Sicht essenziell, um einen erfolgreichen Markteintritt zu ermöglichen. Bei Konzernen oder Unternehmen mit Immobilien Portfolios ab einer Anzahl von ca. 50, ist der Prozess zum Einführen einer neuen Software in der Regel sehr komplex. Aus diesem Grund ist eine nutzergetriebene Entwicklung, die Bedürfnisse analysiert, Gewohnheiten und vorhandene Prozesse berücksichtigt, unabdingbar.
Plattformen und Initiativen zur Standardisierung von Datenschemen haben in anderen Branchen bereits gezeigt was möglich ist, gerade wenn es um größere Datenmengen geht (z.B. Film oder Musikindustrie). Aus meiner Sicht werden diese langfristig auch in der Immobilien Branche kleine Insel-Lösungen und manuelle repetitive Prozesse ersetzen, da der Mehrwert der Informationen so viel höher ist. Dies führt zu schnelleren Entscheidungen mit qualitativeren Daten als Grundlage.

Zu den Topthemen der Digitalisierung gehört ohne Zweifel der Bereich Künstliche Intelligenz. Wie beurteilen Sie die Entwicklung und welche Einflüsse gehen damit auf den Immobilien über?   

KI ist ein sehr weitläufiger Begriff und wird leider noch zu oft missverstanden. Das Potential in der Immobilienbranche ist aus meiner Sicht enorm. Häufig existieren wenig bis keine Prozesse und Abläufe werden teilweise von einzelnen Personen (Experten) gesteuert. Aufgrund von Informations-Silos fehlen somit die Zusammenhänge und ein plausibles Gesamtbild. Obwohl die Daten in den meisten Fällen vorhanden sind, ist es aus Gründen von Ressourcenknappheit und immens verursachenden Kosten nicht möglich, diese zu jeder notwendigen Entscheidung aktuell zusammen zu bringen, um eine Relation herzustellen.
 

In welchem Umfang wird künstliche Intelligenz bereits gewinnbringend genutzt?
In verschiedenen Bereichen wie z.B. dem Gesundheitswesen wird KI in Smartphones und Smart Watches eingesetzt, da gerade junge Menschen gelernt haben mit Daten umzugehen und diesen zu vertrauen. Auch in der Marketing-Branche im Bereich von Sozialen Medien und Onlinewerbung wird KI bei großen Technologie Unternehmen gewinnbringend eingesetzt. Andere Branchen, wie z.B. Retail und E-Commerce setzen ebenfalls Technologien ein, welche KI nutzen. 

Gehen mit der fortschreitenden Technologie auch Risiken für die Gesellschaft und Betriebswirtschaft einher? 
Aus meiner Sicht ergeben sich mehr Chancen als Risiken. Die Geschichte zeigt uns, dass der Wegfall von nicht mehr zeitgemäßen Berufsgruppen, bzw. das Verschmelzen von Positionen unvermeidbar ist, wenn wir technologischen und gesellschaftlichen Fortschritt möchten. Durch neue Technologien ergeben sich auch neue Opportunitäten, bei denen das generationsübergreifend erlangte Expertenwissen eingesetzt werden kann, um Algorithmen und KI-Modelle in der Zukunft zu verbessern.

Technische Geräte werden stetig leistungsstärker und hochwertiger. Im jährlichen Turnus werden neue Mobilgeräte präsentiert – wie beurteilen Sie die Obsoleszenz in Relation mit dem technischen Fortschritt? 
Bei der Entwicklung von technischen Geräten ist Obsoleszenz unabdingbar, da die großen Technologieunternehmen als Treiber in der Wirtschaft neuere und schnellere Technik zur Verfügung stellen, um komplexe Fragestellungen effizienter zu lösen. Aus meiner Sicht ist dies positiv, da sich so immer bessere Möglichkeiten ergeben und mehr Transparenz geschaffen wird.

Welche Wünsche haben Sie an den Immobilienmarkt mit dem Blick auf die Zukunft? 
Das der Markt der Immobilität etwas mobiler, flexibler und transparenter wird. Dies würde sowohl den anbietenden als auch auf den nachfragenden Parteien einen effizienteren Ablauf ermöglichen. Somit könnte zu jedem Zeitpunkt eine verlässliche Aussage über die Immobilie getroffen werden. Eine Due-Diligence Prüfung per Knopfdruck wäre ein Beispiel, welche sich umsetzen ließe, wenn alle Informationen zu jeder Zeit fälschungssicher und dezentral z.B. in einer Blockchain gespeichert werden würden.
 

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