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Interview mit Leon Schröder

Wohin geht die Reise auf dem Logistikmarkt?

Im Gespräch mit IN.PUNCTO gibt Leon Schröder, Immobilienberater bei Angermann Logistik, Auskunft über Entwicklungen und Einflussfaktoren auf dem deutschen Logistikmarkt.

Leon Schröder
Immobilienberater bei Angermann Logistik

Welche Faktoren beeinflussen aktuell den Logistikmarkt?
Im Jahr 2022 gibt es, anders als in den vorherigen Jahren, mehrere Faktoren, die den Logistikmarkt beschäftigen und auch beeinflussen. Aufgrund der Pandemie kam es in Folge einer Kettenreaktion zu Ausfällen in den Lieferketten und Warenströmen, die Werksschließungen nach sich führten und somit einen erheblichen Bruch im Wirtschaftskreislauf darstellten. Speziell die Just-In-Time-Lieferung aus dem asiatischen Raum hat hier massiv ins Gewicht geschlagen. Gerade Chinas anhaltende Null-Covid-Politik lässt Logistikunternehmen nach wie vor schwer vorausplanen. In Folge des Angriffskriegs sind dann auch noch auf dem Transitweg zwischen China und Europa viele Verbindungen gekappt worden, da viele durch die Ukraine, Belarus und Russland führen. Zudem ist der wichtigste Hafen am Schwarzen Meer in Odessa, sowie der gesamte Flugraum über Russland betroffen. Insbesondere im Bereich der Bitumen und metallischen Rohstoffe ist Russland sehr großer Zulieferer für den europäischen Raum, so wie es die Ukraine für gerade dringend benötigte Kabelbäume ist. Logistikunternehmen sind hier zu einer cleveren und lösungsorientierten Krisenplanung angehalten.

Inwieweit haben Online-Handel und Industrie 4.0 die Ansprüche an Logistikimmobilien in den vergangenen Jahren verändert?
Hierzu gibt zwei sehr passende Schlagwörter: Digitalisierung und Hyperkonnektiviät. Big Data und die vollständig vernetzte, immer intelligenter werdende Technik ist auf einem Markt, auf dem es um maximale Effizienz und Produktivität geht, nicht mehr wegzudenken – um nicht zu sagen überlebensnotwendig. Unternehmen müssen in der Lage sein, Produktions-/Lieferprozesse kurzfristig auf die sich schnell ändernde Nachfrage anzupassen. Wo Glasfaseranschlüsse zur Selbstverständlichkeit werden, gehören mit sich kommunizierende Industriemaschinen, künstliche Intelligenz oder die Strukturierung der Datenübertragung per Blockchain mittlerweile zum Arbeitsalltag vieler Unternehmen. Cloud Computing, um möglichst alle Lieferketten miteinander zu verbinden und die automatische Identifikation eines Produkts und dessen Zustand mittels bspw. RFID, ist im Zusammenhang mit der Robotisierung eines Lagers, um Bewegungen zu beschleunigen, ein zentraler Bestandteil, wenn es um die künftige Effizienz eines Logistiknetzwerks geht. Auch ist der Schritt in Richtung unterirdischer Rohrleitungen keine Science-Fiction mehr, sondern ein neuer Transportweg, der bereits von Experten aus verschiedensten Bereichen als mögliche Alternative in Erwägung gezogen wird.
 

Wie ist das Verhältnis von Angebot und Nachfrage, insbesondere bei modernen Logistikimmobilien?
Die Assetklasse Lager/Logistik ist seit Jahren stark nachgefragt und gerade auf dem Einkaufszettel der institutionellen Investoren und Fonds ganz oben gelistet. Seit Pandemiebeginn 2020 und unter der Beachtung, dass multinationale Unternehmen sich für das Nearshoring entschieden haben, wächst zum einen der Hallenflächenbedarf der Nutzer und zum anderen das Investmentinteresse der Investoren gleichermaßen stärker an. Statt ausschließlicher Just-In-Time-Lieferung, gilt es künftig die Widerstandsfähigkeit durch höhere Bestände zu verstärken. Dies hat zur Folge, dass Produktions-/Lagerstandorte zunehmend wieder in die Nähe des Endverbrauchers rücken werden. Themen wie Brexit, Pandemie, Krieg, Nearshoring und entsprechend veränderte Lieferketten führen zu erhöhtem Flächenbedarf. Folglich stellt die Flächenknappheit auf dem Logistikmarkt aktuell die größte Herausforderung dar.


Wie ist die Situation für Mieter?
Auf der einen Seite stellt der Logistikmarkt Jahr für Jahr neue Rekorde auf. So wurden im Jahr 2021 gute 8,5 Mio. m² umgesetzt, wovon gut ein Viertel auf die Big-5-Ballungsräume entfiel. Den Auswirkungen der Pandemie trotzend, wurde so das Vorjahresergebnis bundesweit sogar um ca. 25 % übertroffen. Erstmals in der Geschichte wurde auch die 6 Mio. m² Marke außerhalb der Ballungsräume geknackt. Fast die Hälfte dieser Nutzer und damit die stärkste Flächennachfrage, stellen Handels/-E-Commerce-Unternehmen dar. Abseits der eng bebauten Industrie- und Gewerbegebiete gibt es also auch für diejenigen, deren Warenumschlag auf über 100.000 m² stattfindet, noch verfügbares Bauland und Möglichkeiten. So wurden auch im vergangenen Jahr sechs Großtransaktionen im suburbanen Raum jenseits der 100.000 m² Marke gezählt. Die Abschlüsse fallen hier auf die Branchen E-Commerce, Handel und Transport/Logistik zurück und sind mit beispielsweise Amazon oder Edeka zu benennen. Ein entsprechend ausgefeiltes Logistiknetzwerk und die regionale und/oder überregionale Infrastrukturanbindung (Sea, Rail, Road, Cargo) ist jedoch auch dort essenziell. Für Nutzer im Größenbereich bis 10.000 m² Nutzfläche wird es in zentralen und strategisch wichtigen Gebieten allerdings zunehmend schwer, entsprechende Flächenkapazitäten vorzuhalten. Für Mieter ist das rechtzeitige Umschauen nach neuen Flächen oder einer Flächenerweiterung deshalb nur zu empfehlen. Je nach Gesuch, bzw. Flächenbedarf, sind Vorlaufzeiten von 6 bis hin zu 18 Monaten keine Seltenheit. Mithilfe des Maklers kann der Markt auch über einen langen Zeitraum gescannt und beobachtet werden. Zeiten, in denen Ende des vierten Quartals die Fläche für das neue Jahr gesucht und gefunden wird, sind längst vorbei. Unternehmen sollten sich mit dem perspektivischen Flächenbedarf also permanent auseinandersetzen, um ihre Chancen am Markt adäquat wahrnehmen zu können.
 

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Inwiefern ist der Mangel an Logistikgrundstücken ein Problem?
Steigende Grundstückspreise, gepaart mit dem rasanten Anstieg der Baurohstoffpreise, lassen deutlich weniger Neuentwicklungen auf den Märkten zu. Gerade wenn man zum Beispiel auf den nach wie vor schon sehr stark nachgefragten Hamburger Markt schaut, sieht man viele Logistikunternehmen monatelang nach passenden Flächen suchen und bei der Standort- oder Expansionssuche verzweifeln, da kaum Flächen am Markt vakant sind oder werden. Hier ist ein Umzug ins ebenfalls bereits nachgefragte Umland oft die Lösung, um bisherige Kapazitäten aufrecht zu erhalten. Im kleinen Flächensegment bis ca. 1.500 m² hat bereits vor Jahren ein regelrechter „Flächenkampf“ begonnen, der sich täglich weiter zuspitzt. Hier ist die Stadtplanung in Zusammenarbeit mit Architekten und dem Makler als Vermarktungstool gefragt, auch entsprechende Leerstände im innerstädtischen Bereich zu nutzen und in beispielsweise Mikro-Distributionszentren umzuwandeln. Der Rückgang des Einzelhandels ist hier vielerorts wohl kaum noch aufzuhalten und mögliche Lagerkonzepte sollten somit frühzeitig überdacht und geplant werden. Verbleiben wir im Hamburger Markt, so ist die Teilumwandlung des östlichen Hafengebiets in ein Wohngebiet ein zweischneidiges Schwert. Zum einen lockert es sicherlich den angespannten Wohnungsmarkt etwas und schafft neuen und zugleich auch bezahlbaren Wohnraum, zum anderen werden die knapp vorhandenen und dringend benötigten Hafengrundstücke weniger. Wenn es um Core-Logistik-Zentren geht, sträubt sich vielerorts die Gemeinde / Stadt, Genehmigungen für ein solches zu erteilen.  Hintergründe sind hier oftmals der starke Zuwachs des Verkehrs und die im Vergleich zu einer Produktionsstätte geringe Anzahl an Arbeitskräften, die ein solches Zentrum mit sich bringt.

Wo steht der deutsche Logistikmarkt im internationalen Vergleich?
Nach der Automobilbranche und dem Handel stellt die Logistikbranche in Deutschland den größten Wirtschaftsbereich dar und beschäftigt in etwa 3 Millionen Menschen – Tendenz steigend und erforderlich, aber aktuell gebrochen. In Deutschland und der gesamten EU fehlen Berufskraftfahrer, die Produkte für uns von A nach B befördern. Diese Situation bestand allerdings, wenn auch nicht so ausgeprägt, bereits vor dem Krieg oder der Pandemie Die Steuerung von Warenflüssen und der Transport von Gütern brachte uns im vergangenen Jahr knapp 300 Milliarden Euro Umsatz ins Land. Europaweit gesehen ist Deutschland hier mit einem Anteil von ca. 25 % (Gesamtvolumen Europa ca. 1.115 Milliarden Euro) absoluter Treiber und dank hervorragender Infrastrukturqualität und Logistiktechnologie in der Spitzenposition. Hochwertige Logistikstrukturen und die Zentralität in Europa sind auch künftig ein Garant dafür, dass es sich für Unternehmen lohnt in Deutschland zu produzieren und ihre Waren von hier in die Welt zu exportieren. 
 

Wohin steuert der Markt für Logistikimmobilien in der Zukunft?

Grundsätzlich lässt sich einfach sagen, dass solange wir konsumieren auch entsprechende Logistikimmobilien gebraucht werden. Da der Konsum in den letzten Jahren weltweit erheblich gestiegen ist und auch ungebremst weitersteigt, werden logischerweise auch immer mehr Lagerkapazitäten benötigt. Deutschland ist an der Stelle übrigens prozentual gesehen vom Treppchen des Exportweltmeisters auf das Treppchen des Konsumweltmeisters gesprungen. Eine Oxford-Studie geht beispielsweise davon aus, dass sich das Frachtaufkommen in der EU bis 2050 verdreifachen wird. Der Bedarf an Lager/-Umschlagsflächen wird also auch in Zukunft mehr denn je bestehen. Im Zuge der sich fortwährend verändernden Markt- und auch Umweltgegebenheiten, wird sich zukünftig aber auch die Logistikimmobilie an sich verändern. So spielen Nachhaltigkeit, demografischer Wandel, Dekarbonisierung und technologischer Wandel eine zentrale Rolle. Die Alterung der Bevölkerung wird erwartungsgemäß dazu führen, dass das Arbeitskräfteangebot in den meisten europäischen Ländern langsamer wachsen wird als die Gesamtbevölkerung und in wichtigen Logistikländern wie Deutschland oder Polen sogar sinken wird. In Ländern mit hoher Beschäftigung und niedriger Arbeitslosenquote wird die Herausforderung, Arbeitskräfte im Lager- und Transportbereich anzuwerben, schwerer. Die zunehmende Bedeutung von sozialen Faktoren und der Qualität/Ausstattung des Arbeitsumfelds werden Investoren und Entwickler sicherlich künftig stärker berücksichtigen, um Gebäudeeigenschaften und Annehmlichkeiten auf den Mitarbeiter anzupassen. Der technologische Wandel wird Gebäudedesigns und auch die Kubatur einer Liegenschaft verändern. Vollautomatisierte Hochregalläger und der zunehmende Einsatz von KI und Robotertechnik führen zu Produktivitäts- und Effizienzsteigerungen. Eine Verkleinerung der Grundfläche, wobei dann entsprechend in die Höhe gelagert wird, könnte hier eine Lösung für noch effizienteres Arbeiten darstellen und Flächeneinsparungen, bzw. Kapazität für mehr ermöglichen. ESG- (Environment, Social, Governance) Maßnahmen, oder anders gesagt – Nachhaltigkeitskonzepte, waren lange Zeit wenig beachtet worden, sind allerdings 2022 präsenter denn je.

Was bedeutet das konkret?

Klimawandel und soziale/gesellschaftliche Aspekte führen dazu, dass Themen wie z.B. erneuerbare Energien, ressourcenschonende oder sogar klimaneutrale Bauten und faire, bzw. transparente Arbeitsbedingungen stark an Bedeutung gewinnen. Sollen Immobilien künftig verkauft werden, so prüfen professionelle Ankäufer, wie Versicherungen, Fonds oder größere Family Offices die ESG-Kriterien künftig deutlich intensiver als bisher. Wo genau einzelne Schwerpunkte gesetzt werden und was für den einzelnen „ESG-konform“ heißt, bleibt allerdings so individuell wie die Immobilie selbst.

Eine enorme Herausforderung für nachhaltige Logistik ist die Dekarbonisierung, die Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Hier geraten die Logistikbranche wie auch die Immobilienbranche unter Handlungsdruck. Zwar stellt der Transport in der Logistikwertschöpfungskette den größten Emissionsausstoß dar (87%), der CO2-Beitrag von Gebäuden (13%) sollte jedoch nicht vernachlässigt werden. Die Schaffung politischer Rahmenbedingungen führte dazu, dass Konzepte wie DGNB oder BREEAM ins Leben gerufen wurden und nun einen umfassenden Überblick über Entwicklung und Umsetzung der Nachhaltigkeitskriterien bereitstellen. Dies wird dazu führen, dass Konstruktionsmerkmale einer Immobilie sich verändern werden. In der Praxis spricht man hier dann z.B. von energetischen Maßnahmen wie einer effizienten Dacheindeckung mit zusätzlich vielen Dachfenstern und sehr gut isolierten Wänden, einer Regenwassernutzung, PV-Anlagen auf dem Dach oder Windanlagen auf dem Grundstück. Zur Verringerung der Transportemissionen können, wie auch im Supermarkt, Baumaterialien aus regionaler Herstellung gekauft und verwendet werden. Batteriespeicher und Ladestationen für Elektroautos können Energieeffizienz, bzw. Pendleremission ausgleichen.

Worauf können sich Marktteilnehmer also künftig einstellen?

Zukünftig wird der Einsatz von Automatisierung und Robotern im Logistikbereich erwartungsgemäß noch deutlich zunehmen und technologische Entwicklungen werden ein wesentlicher Treiber für die Entstehung neuer „intelligenter“ Gebäudetypen sein. Daneben wird die Nachfrage nach umweltfreundlichen bzw. klimaneutralen Logistikimmobilien (Netto-Null-Kohlenstoff-Gebäude) in den kommenden Jahren ansteigen, da sich große Unternehmen im Zuge zunehmender gesetzlicher Vorgaben und Normen sowie dem gesellschaftlichem Druck zu Klimaeffizienz und der Bepreisung von CO2-Emissionen zu Kohlenstoffeinsparungen verpflichten werden. Neben dem Neubau grüner Logistikimmobilien wird dabei insbesondere die Sanierung und Nachrüstung bestehender Gebäude mit CO2-reduzierenden Systemen von zentraler Bedeutung sein. Gerade in städtischen Räumen werden Nutzer, Entwickler und Investoren gefordert sein, die Logistik effizienter, nachhaltiger und mit weniger negativen Auswirkungen zu gestalten.

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