Handlungsoptionen in Zeiten von Corona
Über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise wird derzeit branchenübergreifend diskutiert. IN.PUNCTO-online sprach mit Stefan Gunkel MRICS, Ö.b.u.v. Sachverständiger, CIS HypZert (F), Geschäftsführer der Angermann Valuation and Advisory GmbH - Chartered Surveyors, über die aktuelle Lage im Immobiliensektor und mögliche Handlungsoptionen.
Vor welchen Herausforderungen stehen Immobilieneigentümer aktuell?
Zurzeit ist es wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und ggf. mit den Mietern, ob wohnwirtschaftlich oder gewerblich, einvernehmliche Lösungen zu finden, um die Krise, die theoretisch in ein paar Wochen vorüber sein kann, partnerschaftlich zu meistern. Immobilieneigentümer haben es insbesondere über professionelles Asset und Property Management glücklicherweise selbst in der Hand, auch in Krisenzeiten Entwicklungen zu steuern und zu beeinflussen. Von der gesamtwirtschaftlichen Situation sind sie deshalb nicht im selben Maße abhängig, wie es Investoren von alternativen Anlageformen sind.
Inwieweit müssen Eigentümer Einbußen in Kauf nehmen und werden diese nur kurz-, mittel- oder langfristig sein?
Zunächst geht es darum, den Schaden, der sich unmittelbar aus entgangenen Mieteinnahmen ergeben kann, auf ein Minimum zu reduzieren. Beide Seiten müssen von den kurzfristig zu erzielenden Vereinbarungen profitieren. Der Mieter in der Form, dass er einer möglichen Insolvenz entgeht. Dem Eigentümer bleibt als Folge ein vermietetes Objekt, das im besten Fall einer nur kurzfristigen Mietreduktion unterliegt. Hier existieren inzwischen ja auch einige privatwirtschaftliche und staatliche Ansätze und Initiativen, für die am Ende keine Partei gerne aufkommt; ich denke aber, dass allen keine andere Wahl bleibt und es letztendlich insbesondere um die Verteilung der Kosten gehen wird. Mittel- bis langfristig könnte Deutschland dank seines sehr guten Gesundheitssystems die Corona-Krise besser bewältigen als viele andere Länder und dadurch noch deutlich mehr in den Anlagefokus nationaler und internationaler Investoren rücken.
Wie beurteilen Sie grundsätzlich den gewerblichen Mietermarkt in diesen Tagen?
Man darf bei allem Schrecken, der Jedem in die Knochen gefahren sein dürfte, nicht vergessen, dass die gegenwärtige Situation sehr schnell alternative Industrien, die wir zurzeit noch gar nicht genau auf dem Schirm haben, aufbauen wird, die zukünftig als Flächennachfrager in den Markt gespült werden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Berlin verzeichnet aktuell kaum noch Büroflächenleerstand. Unterstellt, dass extrem betroffene Branchen ab sofort einen deutlich geringeren Flächenbedarf haben, dafür aber die Gewinner der Krise, die sich schnell abzeichnen werden, diesen zumindest teilweise kompensieren werden, dann liegt es doch auf der Hand, dass die Vermietungsaktivitäten kurzfristig wieder an Fahrt aufnehmen werden und diese Annahme trifft nicht nur auf Berlin zu. Meiner Einschätzung nach sollte man genau jetzt in den Startlöchern stehen, um sofort auf zu erwartende schnelle Anpassungen reagieren zu können.
Welchen Auswirkungen wird die Krise auf die jeweiligen Asset-Klassen haben?
Die Krise wird sich auf die verschiedenen Asset-Klassen ganz unterschiedlich auswirken. Extrem betroffen sind Immobilien u.a. aus den Bereichen Tourismus, Hotel, Gastronomie, Einzelhandel sowie in Teilen Leisure und Entertainment. Die Nachfrage in bestimmten logistischen Sparten dürfte hingegen sprunghaft ansteigen. Irgendwo dazwischen werden wohl die Folgen für die Nutzungsarten Büro und Wohnen liegen.
Wie bereits an vorhergehender Stelle angedeutet, bin ich fest davon überzeugt, dass sich Deutschland im europäischen und internationalen Vergleich als vorbildlicher Krisenmanager präsentieren wird, was den meisten der derzeit extrem negativ tangierten Nutzungen zukünftig einen deutlichen und nachhaltigen Nachfrageschub verleihen wird.
Welche Fehler sollten Immobilieneigentümer jetzt nicht machen?
Wie gesagt, Ruhe ist das Gebot der Stunde. Aus meiner Sicht sollte zudem Kompromissbereitschaft in sämtliche Richtungen signalisiert werden. Diejenigen Eigentümer, die vor wenigen Tagen noch eine Verkaufsabsicht hegten, sollten die Vorbereitungen, wenn auch mit verlangsamter Geschwindigkeit, fortführen, um auf eine wieder verbesserte Lage vorbereitet zu sein. Da ein normaler Verkaufsprozess im gewerblichen Bereich in der Regel sechs bis zwölf Monate in Anspruch nimmt, erscheint diese Maßnahme angemessen und nur logisch. Auch ist keineswegs der Nachweis erbracht, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Investmentdeals getätigt werden; dafür ist alles noch zu frisch. Sicherlich sollte man derzeit, falls keine Notsituation vorliegt, mit extrem betroffenen Produkten nicht an den Markt gehen, um die interne Verzinsung des ursprünglichen Investments nicht zu gefährden.
Wird sich das Zinsniveau verändern?
Derzeit gibt es ein historisch niedriges Zinsniveau, was auf der einen Seite Finanzanlagen erschwert und auf der anderen Seite ideale Finanzierungsbedingungen bereitstellt. Es gibt seit einigen Tagen Überlegungen, ob das Niveau auf jetzigem Stand verharrt oder es sich aufgrund höherer Risiken für Banken und zum Teil steigender Anleiherenditen leicht erhöht. So oder so wird es aus meiner Sicht zumindest mittelfristig auf einem extrem niedrigen Level verbleiben, was dem Investmentmarkt eine nachhaltig sichere Finanzierungsbasis garantiert.
Inwieweit fließt die Corona-Krise in die Bewertung von Immobilien ein und welchen Einfluss wird sie auf das Auftragsvolumen haben?
Zunächst einmal basieren Wertermittlungen auf vergangenheitsbezogenen Vergleichsdaten, die derzeit fast ausschließlich mit Stand von vor der Krise vorliegen dürften. Man wird einfach abwarten müssen, was die nächsten Tage an neuen Erkenntnissen bringen. Bereits jetzt sprechen die einschlägigen nationalen und internationalen Bewertungsverbände von einem außergewöhnlichen Marktumfeld, das die Wertermittlung erschwere, was zutreffen dürfte. Ob RICS, HypZert oder BaFin: Alle versuchen, auf die Schnelle angemessene Handlungsempfehlungen zu geben, was gut ist. Ich bin gespannt, wie die nationale Gerichtsbarkeit mit dem Thema in den nächsten Wochen umgehen wird.
Als Folge der Sondersituation haben u.a. mehrere britische offene Immobilienfonds ihre Anteilsverkäufe gestoppt, da man aktuell nicht in der Lage sei, die Fondsobjekte korrekt zu bewerten. Meiner Ansicht nach kommt ein Gutachter auch in solch schwierigen und intransparenten Zeiten nicht darum herum, die Frage zu beantworten, was der Wert einer Liegenschaft zum Stichtag heute ist. Selbstverständlich gewinnen neben den vergangenheitsbezogenen Analysen zunehmend Prognosen, die u.a. die detaillierten Objekt-, Mieter- und Marktgegebenheiten in den Fokus rücken, an Bedeutung. Auch ist es immer möglich, verschiedene Szenarien, die mit dem Auftraggeber abzustimmen sind, zu beleuchten. Wie es bereits im Krisenjahr 2009 der Fall war, ist anzunehmen, dass das Auftragsvolumen an Bewertungen aufgrund der Berichtserfordernisse, die sich im Vergleich zur vorletzten Dekade deutlich erhöht haben, kurzfristig substanziell ansteigen wird. Zu sagen, dass sich aufgrund der außerordentlichen Umstände kein Wert ermitteln lässt, repräsentiert sicherlich keine Lösung.
Werden Immobilien aufgrund der Corona-Krise im Wert steigen oder fallen?
Der Wert einer Immobilie ergibt sich stets aus den Einflussfaktoren Miete und Rendite, so dass hier grundsätzlich mehrere Szenarien denkbar sind. Ich gehe davon aus, dass sich nach dem Ende der Krise die Nettoanfangsrenditen für gefragte Investmentprodukte weiter nach unten bewegen werden, was u.a. auf den zu erwartenden enormen Mittelzufluss in die Asset Klasse Immobilen als mittelbare Folge der Krise zurückzuführen sein dürfte. In diesem Segment ist im Anschluss mit steigenden Werten zu rechnen.
Kurzfristig betroffene Nutzungsarten dürften dagegen aufgrund schlechterer Mieterwartungen zusätzlich eine sicherheitsbedingte verminderte Investmentnachfrage erfahren. Die Kombination aus einer geringeren Miete und einer höheren Rendite kann nur in eine Richtung führen, nämlich, dass sich die Werte nach unten bewegen. Interessant wird die Beobachtung sein, wie sich die Werte dieser derzeit arg gebeutelten Assetklassen, die sich in absehbarer Zeit aufgrund der vorgenannten Gründe möglicherweise wieder nachhaltig erholen könnten, entwickeln werden.
Es ist aus meiner Sicht keineswegs auszuschließen, dass sich zumindest mittelfristig auch in diesen Bereichen ein allgemeiner Wertzuwachs einstellen wird. In der gegenwärtigen Gemengelage lassen sich darüber hinaus mehrere Szenarien ableiten, die nach dem Krisenende zu einer Seitwärtsbewegung führen. Im Ergebnis gehe ich bei allen Assetklassen, ob kurz-, mittel- oder langfristig, tendenziell von einer Wertsteigerung aufgrund der angenommenen weiteren Zunahme der Investmentnachfrage aus.
Warum werden Immobilien auch zukünftig als sicheres Anlagemedium gelten und wie sehen Sie den Vergleich zu anderen Anlagen?
Vorweggenommen glaube ich zunächst einmal, dass insbesondere institutionelle Investoren, wie z.B. Versicherungen sowie Renten- und Pensionskassen, ihre Renditeanforderungen nach unten korrigieren müssen, da sie nicht mehr zeitgemäß sind. Bezüglich der konkurrierenden Anlageprodukte Anleihen, Aktien und Immobilien haben die letzten turbulenten Tage doch die ein oder andere Erkenntnis zu Tage gebracht. Unter anderem, wie bereits erwähnt, dass man aufgrund der Geschehnisse jetzt mit Sicherheit von einem langfristig sehr niedrigen Zinsniveau ausgehen kann. Im Ergebnis dürften zahlreiche gefragte Anleihen bei einer negativen Effektivverzinsung verharren, was für diejenigen Anleger, die zumindest eine positive Effektivverzinsung erwirtschaften müssen, keine Option darstellt.
Aktien sind zwar als Anlagemedium nicht wegzudenken, allerdings zeigt der Aktienmarkt dieser Tage einmal mehr, wie anfällig er ist. Im Rahmen von Aktienanlagen ist die Gefahr, dass man auch einmal dem Szenario einer zeitweiligen substanziell negativen Effektivverzinsung unterliegen kann, meiner Einschätzung nach deshalb im Vergleich zum Immobilieninvestment deutlich größer.
Inwieweit wird sich die Krise auf den Renditedruck auswirken?
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang auf die vorgenannte positive Effektivverzinsung als Anlageminimalanforderung zurückkommen, die meiner Einschätzung nach zukünftig deutlich mehr als bisher in den Investmentfokus rücken wird. Im Rahmen eines An- und anschließenden Verkaufs spricht man auch von einem positiven internen Zinsfuß als Zielgröße, der sich aus der Anlage ergibt. Während alternative Anlageformen, wie oben beschrieben, dies zurzeit entweder nicht hergeben oder die damit verbundenen Risiken nachweislich enorm hoch sind, sind Immobilienanlagen meiner Erfahrung zufolge in den allermeisten Fällen zumindest mit positiven Effektivverzinsungen verbunden.
In dem Zusammenhang ist es notwendig, dass man die sogenannte Nettoanfangsrendite nicht mit dem internen Zinsfuß verwechselt. So kann beispielsweise eine Nettoanfangsrendite in Höhe von 2,50% zum Zeitpunkt des Exits aufgrund von Capex-Maßnahmen, Mieterwechseln, Leerständen, einer Abweichung des Ankaufs- vom Verkaufspreis etc. beispielsweise zu einer internen Verzinsung von lediglich 1,0 oder 1,5% führen, was aber immer noch im positiven Bereich liegt. Insgesamt bin ich davon überzeugt und das lässt sich auch nachweisen, dass sich im Rahmen von Immobilienanlagen substanziell positive interne Verzinsungen sehr gut realisieren lassen.
Was bedeutet diese Annahme unter Berücksichtigung der gegenwärtig durch die aktuelle Krise hervorgerufenen Umstände und Rahmenbedingungen?
Ich persönlich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Vorgabe einer zumindest positiven Effektivverzinsung einer Anlage bei einem gleichzeitig überschaubaren Risiko nach Krisenende dazu führen wird, dass dem globalen Immobilienmarkt mittelfristig ein zusätzlicher Investitionsbetrag im einstelligen Euro Billionenbereich zufließen wird, was mit einem nachhaltigen Renditedruck auf gefragte Immobilienanlagen verbunden sein dürfte.
Sollten seitens der Regierung Maßnahmen getroffen werden, um die Immobilienbranche zu stützen?
Was sollte grundsätzlich dagegensprechen? Natürlich ist jeder Marktteilnehmer, ob Langfristmieter einer Einzimmerwohnung oder milliardenschwerer Fondsakteur, bestrebt, mögliche Schäden bestmöglich abzuwenden. Selbstverständlich weckt u.a. ein Nachtragshaushalt in Höhe von rund 150 Mrd. Euro umfassende Begehrlichkeiten. Zusammen mit den parallellaufenden Hilfsprogrammen, wie z.B. der Auflösung der Milliardenreserven der Bundesanstalt für Arbeit, weiter verbilligter Hilfskredite, umfassender Steuererleichterungen etc. dürfte sich im Laufe der nächsten zwölf Monate recht schnell ein Gesamtbetrag im Bereich von bis zu einer Viertel Billion Euro aufsummieren. Es bleibt abzuwarten, wie lange die Maßnahmen aufrechterhalten werden können. Jedermann weiß, dass Schulden irgendwann auch einmal zurückgezahlt werden müssen, es fragt sich nur von wem. Nichtsdestotrotz ist die psychische Positivkomponente, die sich aus den Kurzfristmaßnahmen ergibt, aus meiner Sicht nicht zu unterschätzen. Und es ist ja auch Fakt, dass sich dadurch zahlreiche Gefahren und Risiken, die ein bislang stabiles Fundament ins Wanken bringen könnten, dadurch zumindest kurzfristig abwehren lassen.
Inwieweit helfen Erfahrungen aus vorherigen Krisensituationen?
Zuallererst haben wir gelernt, dass die Immobilienbranche extrem empfänglich für positive Nachrichten ist und sich sehr schnell bedarfsgerecht anpassen und weiterentwickeln kann. Ich habe in den vergangenen Tagen mit zahlreichen Marktteilnehmern - insbesondere mit Investoren und Finanzierern - gesprochen, die teilweise selbstverständlich erst einmal die Entwicklungen der nächsten Tage bzw. Wochen abwarten möchten. Dennoch scheint man sich mit gefüllten Kassen bereits jetzt schon außerordentlich auf das Ende der Krise zu freuen.