Über Nachhaltigkeit in der Immobilienbranche
Das Thema ESG gewinnt in der Immobilienwirtschaft zunehmend an Bedeutung. IN.PUNCTO hat mit Corinna Knoll und Mario Simon, den Inhabern der REELAB GmbH aus Berlin, über die ESG-Kriterien im Allgemeinen und deren praktische Umsetzung in der Immobilienbranche im Speziellen gesprochen.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung der steigenden Relevanz am Markt?
Corinna Knoll: Wichtig ist nach unserer Ansicht erst einmal zu verstehen, dass es sich in erster Linie um die Definition eines europäischen politischen Ziels auf dem Weg zur Klimaneutralität handelt und wie wir in Zukunft nachhaltig wirtschaften wollen. Und dieses Ziel richtet sich in der aktuellen Phase der Umsetzung an die großen institutionellen Teilnehmer des Marktes.
Mario Simon: In diesem Zusammenhang müssen wir wissen, dass die ESG – Kriterien nicht nur ökologische Aspekte bedienen, sondern Unternehmen und Investoren Anreize schaffen sollen für ethische und soziale Werte einzustehen.
Warum kommen Unternehmen um das Thema ESG nicht mehr herum?
Mario Simon: Bereits seit 2017 haben börsennotierte Unternehmen > 500 Beschäftigte in Deutschland die Pflicht, über ihre Bestrebungen zur Sicherung der Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelange, sowie zur Bekämpfung von Korruption und Bestechung, Controllinginstrumente einzuführen.
Im März 2021 trat dann der Sustainable Finance Action Plan der EU in Kraft. Relevant sind hier in erster Linie die europäische Offenlegungsverordnung und die Taxonomie-Verordnung, die erstmalig verbindliche ESG-Kriterien für Fonds und Unternehmen festlegt, die sich als ESG-konform klassifizieren wollen.
Im ersten Schritt waren diese Formulierungen noch sehr ungenau, was zu Kritik führte. In Bezug auf die Immobilienbranche, waren z.B. konkrete Kriterien an die Gebäude nicht definiert. Inzwischen wurden im I. Quartal 2022 jedoch neue technische Kriterien zu den Verordnungen vorgelegt.
Wie ist der aktuelle Stand der europäischen Taxonomie- / Offenlegungs– Verordnung?
Corinna Knoll: Mit der Evaluierung der Taxonomie-Verordnung am Anfang des Jahres, liegt nun ein nachvollziehbares Klassifizierungssystem, basierend auf Kennzahlen, als Bewertungsgrundlage für die ökologische Nachhaltigkeit vor. Somit bestehen erste Grundlagen, die es allen Beteiligten ermöglicht, zu erkennen wie nachhaltig z.B. ein Fondsvermögen ist.
Mario Simon: Dies bedeutet aber auch, dass sich Investoren und Bestandshalter, orientiert an der EU – Gebäuderichtlinie, klar mit der Frage der Sanierung Ihrer Bestände und der Optimierung der Energieeffizienzklassen auseinandersetzen müssen.
Zusätzlich definiert die Offenlegungsverordnung, die Informationspflichten im Hinblick auf ökologische und soziale Standards sowie die Kriterien guter Unternehmensführung für die Teilnehmer des Finanzmarktes.
Welche Auswirkungen hat dies aktuell auf den Investmentmarkt?
Corinna Knoll: Um es deutlich zu sagen. Der Anwendungsbereich der Offenlegungsverordnung sowie der Taxonomie-Verordnung, bezieht sich weiterhin noch nicht auf die komplette Immobilienbranche und hat Lücken. Zum Beispiel, nicht konkret geregelt ist auch weiterhin die Ermittlung der Erfüllung der technischen Anforderungen. Zusätzlich existiert noch keine Unterscheidung in verschiedene Nutzungsarten von Immobilien.
Im Ergebnis definiert momentan jeder selbst seine eigenen Grenzen der ESG – Konformität. Es existiert also keine allgemeine Regel zur ESG – Strategie im Markt.
Welche Möglichkeiten gibt es aktuell zum Nachweis der ESG - Konformität bzw. existieren ESG-Ratings und wenn ja, welche Aussagekraft haben Sie?
Corinna Knoll: Aktuell gibt es kein allgemeingültiges ESG – Rating. Mittlerweile existieren allerdings viele verschiedene Rating-Methoden, die einen Vergleich ermöglichen und von diversen Agenturen und Dienstleistern angeboten und durchgeführt werden.
Nur beispielhaft wäre hier das ECORE – Scoring zu nennen, welches von der Brancheninitiative ECORE (ESG – Circle of Real Estate) für die Immobilienbranche erstellt und von ca. 100 Teilnehmern und 6 Verbänden unterstützt wird. Das Bewertungssystem gliedert sich in die 3 Bereiche Governance, Verbräuche und Emissionen sowie Asset Check. Bewertungsgrundlage sind hierbei alle ESG – relevanten Kriterien, Gesetze, Verordnungen und die Einwertung bestehender Zertifikate – sofern vorhanden – wie DGNB, BREEAM oder LEED. Im Ergebnis ergibt sich ein Scoring von 1 – 100, welches vereinfacht das ESG – Rating darstellt.
ESG ist die Abkürzung für Environmental (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung). Werden aus ihrer Sicht alle Bereiche ausreichend berücksichtigt?
Mario Simon: Das übergeordnete politische Ziel ist es bis spätestens 2045 eine Netto-Treibhausgasneutralität über alle Sektoren zu erreichen. Da aktuell ca. 35% des gesamten deutschen Endenergieverbrauchs auf Gebäude entfallen, richtet sich der Fokus der Immobilienbranche dementsprechend stark auf den Part Environmental (Umwelt).
Folgerichtig, steigen die Anforderungen an die Nachhaltigkeitskriterien an Immobilien. Und dies im gesamten Lebenszyklus der Immobilie und an alle Beteiligten.
Und um die Frage zu beantworten. Ja, ich finde alle Bereiche ausreichend berücksichtigt und auch die Fokussierung der Branche auf den Part Environmental (Umwelt). Denn, nach den bisher vorliegenden Studien verfehlte dieser Bereich die klimapolitischen Ziele bislang deutlich.
Was kann man tun, damit eine Immobilie nachhaltig ist bzw. den ESG – Anforderungen Environmental (Umwelt) entspricht?
Mario Simon: Grundsätzlich ist der Nachweis beispielsweise detailliert über ein ESG – Rating möglich. Aber es gibt bereits einige grundlegende Anforderungen bzw. Möglichkeiten, die in den ESG – Kriterien selbst konkret angelegt sind, um den Nachweis eines umwelt- und ressourcenschonenden Gebäudes zu erbringen.
Die erste Möglichkeit ist die Nachweisführung, dass der Primärenergiebedarf des Objektes innerhalb der besten 15% des lokalen Immobilienmarktes liegt. In der Praxis ist dies allerdings schwer umzusetzen, da Vergleichswerte in der Regel nicht bekannt sind.
Die zweite Möglichkeit ist die Bezugnahme auf den Energieausweis. Der Nachweis ist erbracht, wenn die Energieklasse A vorhanden bzw. im Rahmen einer Sanierung innerhalb von 3 Jahren erreicht wird.
Bei Bestandsgebäuden ist eine weitere ergänzende Möglichkeit der Nachweis der Senkung des Primärenergiebedarfes innerhalb von 3 Jahren um mindestens 30 Prozent.
Wir sprachen bislang noch nicht über die Punkte Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung). Haben Sie aus diesen Bereichen weitere praktische Hinweise zur Umsetzung der ESG - Kriterien?
Corinna Knoll: Für den Bereich Social (Soziales) lassen sich für die Immobilienbranche – vereinfacht - unter dem bekannten Stichwort Green Lease die wichtigsten Punkte zusammenfassen. Ausgewählte Punkte wären z.B. die Auswahl der Gewerbemieter nach nachhaltigen Geschäftsmodellen und die Sicherstellung von gesunden und hochwertigen Arbeitsplätzen. Weiterhin relevant ist der Nachweis von E-Mobilität und Alternativen zum Auto. Gute Orientierung können hier die bewährten Zertifizierungen DGNB, BREEAM oder LEED bieten.
Der Bereich Governance (Unternehmensführung) bezieht sich, abweichend zu den beiden anderen Bereichen, auf die Themen „außerhalb“ der Immobilie, wie z.B. Risikomanagement, Compliance, Aufsichtsratsstrukturen und Korruption. Beispielhaft zu nennen wäre hier die Entwicklung eines transparenten Berichtswesens bei der Planung und Abwicklung von Immobilienprojekten sowie ein proaktives Stakeholdermanagement.
Natürlich stecken hinten diesen Punkten noch weitere Möglichkeiten zur Aufwertung und Verbesserung des ESG – Rankings.
Wie hat ESG die Immobilienbranche bereits verändert?
Corinna Knoll: Die Verknüpfung der Kapitalflüsse an die übergeordneten Kriterien Umwelt, Soziales und die Form der Unternehmensführung, insbesondere an Banken und Investoren, hat einen starken Einfluss auf alle Teilnehmer des Marktes und damit natürlich auch auf die Immobilienwirtschaft.
In Bezug auf die Immobilienbranche ist das Bewusstsein deutlich gestiegen, dass das Produkt Immobilie in Zukunft ohne die Betrachtung von ESG - Kriterien, insbesondere der Thematik Nachhaltigkeit und Energieoptimierung, nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben und somit zu vermarkten ist.
Unsere momentane Energiekrise und die daraus resultierenden Kosten zeigen dies aktuell deutlich. Aber auch die Anforderungen der Menschen an Ihren Arbeitgeber, an Ihren Arbeitsplatz und an das Gebäude orientieren sich aufgrund der sich wandelnden Lebensbedingungen stark an diesen Vorgaben. Die ESG – Kriterien sind hier nur der politische Rahmen.
Mit welchen politischen Entwicklungen und weiteren gesetzlichen Regelungen zu den ESG - Kriterien ist in Zukunft zu rechnen?
Mario Simon: In den nächsten Monaten werden weitere Neuerungen zu den ESG – Kriterien von der EU erwartet. Es ist davon auszugehen, dass weitere Konkretisierungen erfolgen und im Ergebnis eine Ausweitung der Verpflichtungen und Regulierungen auf weitere Bereiche der Immobilienbranche stattfinden wird.
Welche Auswirkungen hat die Ausweitung der ESG – Kriterien auf die Bewertungsrichtlinien von Immobilien?
Mario Simon: Wie soeben erläutert ist davon auszugehen, dass eine Ausweitung der ESG – Kriterien auf EU – Ebene erfolgt und sich die verpflichtenden Gesetze auf nationaler Ebene danach richten.
Im Ergebnis der höheren Anforderungen im Hinblick auf die Transparenz bei Ertrags- und Risikofaktoren, steigen folgerichtig auch die Anforderungen an die Immobilienbewertung. Die durch die RICS veröffentlichte „RICS Valuation Guidance Note addressing Sustainability and ESG“ gibt hierzu erste und gute Handlungsempfehlungen für die Wertermittlung in Bezug auf ESG – Kriterien.
Was bedeutet dies für private Eigentümer von Immobilien und Beständen und insbesondere auf die Preisbildung?
Corinna Knoll: Die Klassifikation einer Immobilie als ESG – konform, als Mittel zur Wertsteigerung bzw. Werterhalt, wird weiter an Bedeutung gewinnen. Bereits heute ist deutlich festzustellen, dass die ESG – Konformität einer der wichtigsten Kriterien bei Immobilientransaktionen ist, deutlich den Preis definiert und zu einen der Hauptkriterien der Ankaufsentscheidung geworden ist. Denn bereits jetzt definiert sich hiermit die Fondstauglichkeit.
Zum Abschluss unseres Gespräches. Welche wichtigste konkrete Empfehlung zum Werterhalt /-steigerung haben Sie für Eigentümer und Bestandshalter im Umgang mit Ihren Immobilien? Welchen Beitrag können Sie als technisches Beratungsunternehmen dazu leisten?
Mario Simon: Wenn ich mich auf eine Empfehlung festlegen soll. Wir hatten eingangs darüber gesprochen, welche Kriterien der Energieoptimierung die ESG – Konformität definieren. Ich würde daher im Rahmen der Portfolio- und Bestandssteuerung im ersten Schritt eine transparente Analyse der tatsächlichen Verbrauchsdaten empfehlen. Im zweiten Schritt kann dann eine technisch-wirtschaftliche Bewertung erfolgen, welche Maßnahmen an den Beständen erforderlich sind, um die ESG – Ziele zu erfüllen. Denn die wirtschaftliche Optimierung der Energiebilanz, mit dem Fokus der Reduzierung auf die Betriebskosten, ist ein klar messbares Kriterium zur Wertsteigerung.
REELAB ist ein inhabergeführtes technisches Beratungsunternehmen mit Sitz in Berlin. Die Gründung erfolgte im Jahr 2016. Das Spektrum der Beratungsleistungen erstreckt sich über den gesamten Lebenszyklus der Immobilie, hauptsächlich spezialisiert auf Technische Due Diligence